Der Fassungsscheibenwinkel misst die “Durchbiegung” einer Brillenfassung. Dioptrienwert, Astigmatismus-Korrektur, Zentrierung, Abbildungsfehler: Der Trageparameter mischt überall mit.
Fassungsscheibenwinkel: Problemkind der Brillenglasanpassung
Sportbrillen, Sonnenbrillen & Co. haben große Fassungsscheibenwinkel
Viele Brillenfassungen sind ein bisschen “durchgebogen” – sie schmiegen sich der Rundung des Gesichts an. Stark durchgebogene Brillenfassungen (Wraparound-Fassungen) vergrößern das Gesichtsfeld Richtung Peripherie und schützen die Augen vor Staub und Fremdkörpern – daher sind sie in Form von Sonnenbrillen vor allem bei Sportlern (Radfahrern!) und Motorsportlern beliebt. Diese Durchbiegung der Fassung ist einer der kompliziertesten Trageparameter: Sie beeinflusst die Qualität der Abbildung durch die in die Fassung eingesetzten Brillengläser gleich auf mehrere verschiedene Arten.
Die Größe, die den Grad der “Durchbiegung” präzise angibt, ist der Fassungsscheibenwinkel (abgekürzt FSW, manchmal auch als Biegungswinkel bezeichnet). Wenn Sie ein Lineal gerade auf den Nasensteg der Brille legen, ist der Fassungsscheibenwinkel der Winkel, den das Brillenglas auf jeder Seite mit dem Lineal bildet.
Messbrille beim Optiker: FSW=0
Die Messbrille dagegen, die der Optiker Ihnen zur Ermittlung der richtigen Sehstärke auf die Nase setzt, ist gerade wie ein Brett (Fassungsscheibenwinkel Null). Typische Alltagsbrillen haben Fassungsscheibenwinkel um die 5 Grad, Sportfassungen können Fassungsscheibenwinkel von bis zu 25 Grad aufweisen.
Wie kann nun der in der Tragesituation erhöhte Fassungsscheibenwinkel (FSW) die Korrekturwirkung von Brillengläsern beeinflussen, die mit einer Messbrille mit FSW=0 bestimmt wurden? Der FSW hat in der Tat so vielfältige und starke Einflüsse, dass bei der Neuverglasung von Sportfassungen mit Korrektur-Brillengläsern nicht nur aus Formgründen spezielle Sportbrillengläser verwendet werden müssen – und idealerweise sogar individuell berechnete Brillengläser.
Einflüsse des FSW: Wo beginnen?!
- Durch den schrägen Lichteinfall beim Blick geradeaus werden Abbildungsfehler im zentralen Gesichtsfeld relevant, die bei geraden Fassungen nur in der Peripherie zum Tragen kommen. Speziell durch den Astigmatismus schiefer Bündel entstehen problematische Unschärfen und Verzerrungen.
- Die Lage der für die Zentrierung essenziellen Hauptdurchblickspunkte ist bei gerade vor den Augen sitzenden Brillengläsern direkt durch die Pupillendistanz gegeben. Sitzen die Gläser schräg vor den Augen, verschieben sich die Hauptdurchblickspunkte.
- Der schräge Blick durch die angekippten Brillengläser vergrößert im Allgemeinen auch den Hornhautscheitelabstand und ändert damit die effektive Korrekturstärke.
- Bei Brillengläsern mit Astigmatismus-Korrektur verschiebt sich durch die Verkippung der Gläser die effekive Lage der Achse.
- Schräg sitzende Gläser wirken wie ein Prisma, d.h. sie lassen Objekte verschoben erscheinen. Das kann sogar Probleme mit dem binokularen Sehen geben.
Fazit: Mit einer Fassung mit erhöhtem Fassungsscheibenwinkel kommt man mit normalen Einstärkengläsern leicht in Teufels Küche. Solch eine Fassung mit den richtigen Brillengläsern zu versehen ist nicht nur eine Herausforderung beim Zentrieren: Selbst optimal zentrierte und angepasste sphärische Einstärkengläser, die den veränderten Hornhautscheitelabstand und die geänderte Lage der Hauptdurchblickspunkte berücksichtigen, liefern wegen der durch den schrägen Sitz der Gläser in der Fassung erhöhten Abbildungsfehler keine optimale Korrektur. Respekt, wenn Ihr Optiker hier fit ist und zum Beispiel die prismatische Wirkung durch ein entsprechendes Prisma im Glas ausgleicht.
Individuelle Brillengläser brauchen individuelle Messung der Trageparameter
Auch wenn es nicht um eine Sportbrille geht: Individuell angepasste Freiform-Gläser, die (unter anderem) den Fassungsscheibenwinkel berücksichtigen und Abbildungsfehler durch eine clever berechnete asphärische Glasoberfläche kompensieren, können bei stärker gebogenen Fassungen tatsächlich viel bringen. Vor der Bestellung muss aber die korrekte Vermessung der individuellen Trageparameter stehen: Lässt der Optiker die aus und ordert die Gläser mit Standardwerten, haben Sie viel Geld für quasi gar nichts bezahlt.