Sehstärke und Hornhautscheitelabstand: (Fast) untrennbar verknüpft!
Bei großen Sehstärken kann ein ungewöhnlicher Hornhautscheitelabstand deiner Brille schuld daran sein, dass du mit deinen neu angepassten Brillengläsern schlecht siehst.
Trotz seines komplizierten Namens ist der der Kürze halber HSA genannte Hornhautscheitelabstand eigentlich nichts weiter als der Abstand zwischen Auge und Brillenglas. Der HSA gehört zu den wichtigen Trageparametern einer Brille: Er hat einen direkten Einfluss auf die effektive Korrekturwirkung der Brillengläser. Bestimmt wird der Abstand durch Form und Sitz der Brillenfassung sowie durch die individuelle Anatomie des Gesichts.
Die Korrekturwirkung des Brillenglases hängt vom HSA ab
Strenggenommen macht die Angabe eines Dioptrienwertes nämlich nur zusammen mit einem bestimmten Hornhautscheitelabstand überhaupt Sinn. Die Dioptrienwerte bei der Brillenanpassung werden generell mit einer Messbrille ermittelt – und sie sind auch nur für den HSA der Messbrille perfekt. Sitzen die in der Testsituation für den HSA der Messbrille ermittelten Brillengläser in der Tragesituation mit der eigenen Brillenfassung ein Stückchen näher am Auge (oder ein Stückchen weiter weg), passt die ganze Geschichte schon nicht mehr perfekt (das Problem haben wir hier anhand der Umrechnung der Dioptrienwerte für Brillengläser in Kontaktlinsen-Werte schon einmal genauer erläutert).
Bei Plusgläsern (also bei Weitsichtigkeit) wird die Korrekturwirkung eines gegebenen Brillenglases mit wachsendem HSA effektiv größer. Bei Minusgläsern (Kurzsichtigkeit) wird sie mit wachsendem HSA effektiv kleiner. Die Erklärung, warum sich die beiden Glastypen so unterschiedlich verhalten, ist kompliziert – nehmen Sie’s lieber einfach so hin… Das heißt, je weiter weg die Brille von den Augen sitzt, desto größere Dioptrienwerte brauchen Kurzsichtige, und desto kleinere Dioptrienwerte brauchen Weitsichtige, um die richtige effektive Korrekturwirkung zu erreichen. Oder andersherum: Je näher die Brille an den Augen sitzt, desto kleinere/größere Dioptrienwerte brauchen Kurzsichtige/Weitsichtige für die richtige effektive Korrekturwirkung.
So messen fitte Optiker den HSA…
Der HSA der gewählten Fassung muss vor dem Einarbeiten der Brillengläser gemessen werden, da sich aus den Messwerten erst die für den ermittelten HSA korrigierten Dioptrienwerte ergeben. Der HSA kann mit einem spezialisierten mechanischen Messgerätchen, dem Distometer, gemessen werden. Das wird von Western Ophthalmics hergestellt, ist allerdings in Deutschland nicht verbreitet. Fitte Optiker behelfen sich mit einem zweckentfremdeten Pupillendistanz-Messgerät, oder einfach einem Lineal – so resultiert allerdings eher eine Schätzung des Wertes…
Moderne Video-Zentrier-Stationen messen den Hornhautscheitelabstand in einem Rutsch mit etlichen anderen Trageparametern des Kunden. So eine Station steht aber auch nicht in jedem Optikgeschäft, und selbst wenn, bleibt ihre Nutzung oft den Kunden vorbehalten, die teure individualisierte Brillengläser oder Gleitsichtgläser bestellen. Engagierte Optiker vermessen auch ihre Einstärkengläser-Kunden mit dem Gerät: der Aufwand (und Aufpreis) lohnt sich bei hohen Dioptrienwerten durchaus.
… und mit dieser Formel wird gerechnet:
Die angepasste Sehstärke D1 lässt sich mit folgender Formel aus der für den HSA der Messbrille ermittelten Sehstärke D und der Differenz d im HSA zwischen Messbrille und eigener Brillenfassung (angegeben in Meter) errechnen:
D1 = D / (1 + x*D)
Sagen wir, mit der Messbrille mit HSA 13 mm wurde ein Dioptrienwert von -10 dpt ermittelt. Die eigene Brillenfassung hat einen HSA von 16 mm, damit beträgt d = 3 mm = 0,003 m. Dann ist
D1 = -10 / (1 + 0,003*(-10)) = -10,31 dpt
Für deine eigene Fassung bräuchtest du also Brillengläser, die mehr als eine Vierteldioptrie stärker sind als die mit der Messbrille ermittelten. Die -10 dpt-Brillengläser werden in deiner eigenen Fassung zu schwach sein. Du wirst bemerken, dass sich deine Sicht verbessert, wenn du die Brille näher an die Augen presst!
Bei einem kleineren Dioptrienwert, sagen wir -3 dpt, macht sich die gleiche Differenz im HSA kaum bemerkbar. Hier ist die angepasste Sehstärke
D1 = -3 / (1 + 0,003*(-3)) = -3,03 dpt
– den klitzekleinen Fehler wirst du nicht bemerken.
Jetzt der ganze Spaß noch einmal für positive Dioptrienwerte. D=+10dpt, und wieder d=0,003 m:
D1 = 10 / (1 + 0,003*10) = 9,71 dpt
Als stark Weitsichtiger bräuchtest du in diesem Fall schwächere Brillengläser als mit der Messbrille ermittelt.
Mit einem kleineren Dioptrienwert (D=3) wäre der aus dem größeren HSA der eigenen Brillenfassung resultierende Fehler wieder winzig:
D1 = 3 / (1 + 0,003*3) = 2,97 dpt
Weil die Änderungen der effektiven Dioptrienwerte bei kleineren Fehlsichtigkeiten – dem täglichen Brot der Optiker – einfach zu unbedeutend sind, kommt das elementare Optiker-Fachwissen um den Einfluss des Hornhautscheitelabstands bei der alltäglichen Brillenanpassung kaum zum Einsatz. Bei hohen Dioptrienwerten kann es aber, wie wir eben gesehen haben, durchaus zu Problemen kommen, und nicht jeder Optiker schaltet bei solchen besonderen Kunden richtig.
Frag deinen Optiker nach dem HSA!
Hohe Dioptrienwerte? Bei der Vermessung der Augen war alles perfekt, aber die fertige Brille lässt zu wünschen übrig? Ihre Sehhilfe wird “besser”, wenn du die Fassung an die Augen presst (oder umgekehrt ein Stückchen abrücken)? Das könnte an einem von der Messbrille abweichenden Hornhautscheitelabstand deiner Brillenfassung liegen. Frag deinen Optiker danach – und wenn er/sie nicht weiß, wovon du redest, such dir einen anderen!
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